Kann Vertrieb wirklich ethisch sein?

Kann Vertrieb wirklich ethisch sein?

Vertriebsziele und Vertriebserfolg müssen neu gedacht werden

Autor:   Markus Euler

Vertrieb ist stark provisionsorientiert, der Fokus auf Margen, Wachstum und betriebswirtschaftliche Kennzahlen ausgerichtet. Der Druck ist hoch. Verkaufen, Verkaufen, Verkaufen – so lautet das Motto. Aber immer öfter ist da der Ruf nach mehr Menschlichkeit, Werten und gegenseitigem Respekt zu hören. Und das nicht nur seitens des Kunden, sondern auch aus den Reihen des Vertriebs.

Bei intensiverer Betrachtung lautet die Antwort auf die Frage, ob Vertrieb wirklich ethisch sein kann: JA – und zwar ohne Wenn und Aber. Vertrieb kann nicht nur ethisch sein, er muss es sogar. Hans Lutz Merkle, ehemaliger Manager von Bosch hat gesagt: „Es gibt aber Dinge, die tut man einfach nicht“. Und das gilt auch für den Vertrieb. Wir kennen das Prinzip des „ehrbaren Kaufmanns“. Die Kaufleute im 11./12. Jahrhundert waren darauf angewiesen, dass man ihnen vertraut und mit ihnen Geschäfte macht. Und sie nicht als Betrüger oder Lügner verdächtigte – denn dies hätte die eigene Existenz gekostet.

Um dies sicher zu stellen, wurden innerhalb der Gilde klare Normen definiert, man kontrollierte sich gegenseitig. Auf das Vertrauen des Kunden angewiesen sind Unternehmen auch heute noch.

Und genau hier liegt die Herausforderung: Die unternehmerischen Ziele im Vertrieb zu erreichen, möglichst profitable Geschäftsbeziehungen aufzubauen und gleichzeitig ethische Maßstäbe zu verfolgen. Ein Vertrieb, der sich an ethischen Grundregeln orientiert ist per se genauso erfolgreich, wie andere Vertriebsformen. Im Gegenteil: Ich bin der festen Überzeugung, dass sich Kunden länger an ein Unternehmen binden und höhere Umsätze generieren, wenn sie das Gefühl haben, dass ein Unternehmen nach ethischen Maßstäben handelt, wahrheitsgemäß und fair berät und verkauft. Und dass der Kunde dies durch sein Kaufverhalten und vor allem durch seine Loyalität und Empfehlungsverhalten honoriert. Gewinnmaximierung, Wachstum und Vertriebserfolg nicht trotz, sondern wegen der Ausrichtung auf ethische Grundsätze.

Ehrbarkeit, Ehrlichkeit und Vertrauen werden ausnahmslos immer von außen beigemessen. Der Maßstab, wie ein Unternehmen eingeschätzt wird, ist also immer der Kunde oder der Interessent.

Wirtschaft und Ethik sind im Vertrieb untrennbar miteinander verbunden

Besonders Unternehmen, deren Unternehmenszweck hauptsächlich darauf ausgerichtet ist tatsächliche Werte zu schaffen, müssen darauf achten, welche Auswirkungen ihr Wirtschaften und die strategische Ausrichtung auf die eigenen Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden, die Umwelt und die Gesellschaft haben. Die Zahl der Menschen, die sich intensiv Gedanken um Nachhaltigkeit, Umwelt und andere Zukunftsthemen macht und dies auch bei Kaufentscheidungen berücksichtigen, wird immer größer. Das Gefühl, ob man als Interessent oder Kunde respektvoll und fair behandelt wird, ist ohnehin latent vorhanden. Unternehmen kommen nicht an einer Überprüfung ihrer Organisation hinsichtlich ethischer Maßstäbe vorbei.

Von Umweltaspekten, dem Produktmanagement bis hin zu der Art und Weise, wie ein Verkaufsprozess oder das Gespräch mit dem Kunden gestaltet werden. Ein Beispiel aus dem Handel: Es gibt Händler, die Produkte eines Herstellers kurzzeitig aus dem Programm nehmen, weil dieser offensichtlich dem Kunden eine Mogelpackung verkaufen wollte. Ein Drittel weniger Füllmenge und eine deutliche Veränderung der Inhaltsstoffe ohne entsprechende Preisanpassung. Der Hersteller versuchte dies mit einem neuen Verpackungsdesign zu rechtfertigen und wies darauf hin, dass die veränderte Füllmenge ja auf der Packung vermerkt sei. In meinen Augen ist dies ein gutes Beispiel für verantwortungsbewusstes Verhalten. Offenheit und Transparenz gegenüber dem eigenen Kunden. In diesem Fall sogar mit dem Risiko verbunden, dass sich der Umsatz verringert. Der Vertrieb gehört zu den kritischen Erfolgsfaktoren jedes Unternehmens und ist bestens beraten, sich intensiv mit den Maßstäben des eigenen Verhaltens auseinander zu setzen. In der Funktion als Bindeglied zwischen Unternehmen und Interessenten, bzw. Kunden.  Vor dem Kauf, während des Kaufs und auch nach dem Kauf.

Ethischer Vertrieb findet besonders dann statt, wenn es sich nicht direkt auszahlt oder wenn keiner es bemerkt.

Fast jedes Unternehmen nutzt in der Kommunikation Begriffe wie Kundenorientierung, Fairness, Win-Win oder das Bild vom „König Kunde“. Mitarbeiter werden geschult, um Kunden und Interessenten das gute Gefühl zu geben, willkommen zu sein und im Mittelpunkt zu stehen. Aber Freundschaft beweist sich selten im Sonnenschein. Entscheidend ist die Frage, wo die Grenzen liegen und ab wann das Eigeninteresse des Unternehmens (oder das des Verkäufers) über das Interesse des Kunden gestellt wird. Ethisches Verhalten ist einfach umzusetzen, wenn alles nach Plan läuft, die Zahlen stimmen und alle Augen auf einen gerichtet sind. Und hier zeigt sich, wer es wirklich ernst meint. Ethische Grundsätze nach Innen und Außen zum Maßstab zu machen ist kein Projekt oder „Nice-to-have-Faktor“. Es bedeutet Konsequenz Vom Großen ins Kleine und besonders auch dann, wenn es im Hintergrund stattfindet. Auf ethischen Werten basierendes Verhalten beinhaltet an bestimmten Stellen auch, bewusst auf etwas zu verzichten, zum Beispiel auf einen Auftrag.

Damit ethisches Verhalten wirklich praktiziert werden kann, gilt es folgende Punkte zu berücksichtigen:

  1. Ethisches Verhalten ist „Chefsache“ und entfaltet seine Wirkung nur, wenn es „Top-Down“ getragen und konsequent in der Unternehmensstrategie verankert wird.
  2. Ethisches Verhalten kann nur nach Außen glaubwürdig gelebt werden, wenn es auch im Unternehmen (freiwillig) praktiziert wird.
  3. Ethisches Verhalten muss glaubwürdig sein. Konsistentes Verhalten ist unabdingbare Voraussetzung.
  4. Unternehmen können kein ethisches Verhalten leben, das können nur die Mitarbeiter. Um Menschen mit diesem Thema erreichen zu können, muss Ethik „alltags- und praxistauglich“ sein.

Zufriedene Mitarbeiter sind das Fundament jedes erfolgreichen Vertriebs. Wer Wert drauf legt, dass der Vertrieb auf Basis ethischer Aspekte aufbaut, benötigt Mitarbeiter, die das Gefühl haben, fair und anständig behandelt zu werden. Und auf dieser Basis die notwendige Eigenmotivation und Leistungsbereitschaft zu entwickeln, um die hoch gesteckten Vertriebsziele zu erreichen. Der Schlüssel liegt oft in den internen Strukturen verborgen. Wenn Vertriebsmitarbeiter 40% ihrer Zeit damit verbringen Gesprächsberichte oder Angebote zu schreiben und Back-Office-Arbeiten erledigen müssen, dann wächst der Druck, die Ergebnisse in den übrigen 60% der Zeit zu erreichen. In der Konsequenz fehlt es dann oft an der notwendigen Aufmerksamkeit und Besonnenheit, die im professionellen Vertrieb unabdingbar sind. Ethische Grundsätze, zum Beispiel eine intensive Bedarfsermittlung und eine faire Beratung, werden dann eben dem schnellen Abschluss geopfert. Es wird genommen, was einem „vor die Flinte läuft. Der Verkäufer verkauft „um des Verkaufens Willen“.

Und wenn ein Vertriebsmitarbeiter das Gefühl hat, dass dem Kunden alles nachgetragen wird, während er selbst bei seinem Vorgesetzten um jede Kleinigkeit kämpfen muss, dann wirkt sich dies nicht positiv auf die Motivation aus. Es braucht vielmehr ein faires Entlohnungssystem und eine Arbeitsorganisation, die darauf ausgerichtet ist, dem Verkäufer möglichst viel Zeit damit zu verbringen wofür er eingestellt ist und was er am besten kann: Gut zu beraten und Geschäfte zu machen. Und Geschäfte werden nicht zwischen Unternehmen, sondern zwischen Menschen gemacht.

Internen Strukturen, Prozesse und vor allem die interne Kommunikation müssen dahingehend überprüft werden, ob sie einen ethischen Vertrieb unterstützen oder sogar (unbewusst) im Weg stehen. Die mangelnde Umsetzung liegt meist nicht im Fehlen der entsprechende Werte, sondern in den fehlenden Antworten auf die Frage: “Was hindert uns momentan daran, entsprechend zu handeln?“ Erfahrungsgemäß bieten Strukturen, in denen Führungskräfte und Mitarbeiter des Vertriebs entsprechende Gestaltungsfreiheit und Rückendeckung aus dem Top-Management haben gute Voraussetzungen.

Ethik im Verkauf beginnt da, wo die normative Ebene verlassen und die Grauzone betreten wird.

Leitlinien, Normen und Spielregeln sind die Basis des normativen Managements. Hier können ethische Maßstäbe für das Unternehmen und damit auch den Vertrieb verankert werden. Erfolgreicher Vertrieb findet aber in weiten Teilen außerhalb dieser Ebene statt. Tugenden und Kompetenzen wie Weitblick, Fleiß, Aufrichtigkeit oder Ehrlichkeit können nicht verordnet werden. Und deshalb braucht es Mitarbeiter, die diese Denk- und Verhaltensweisen bereits mitbringen oder ein Umfeld haben, das sie dabei unterstützt, sich in diese Richtung zu bewegen. Vertrauen, Mut und Selbstbewusstsein in die eigene Person sind eine wichtige Voraussetzung.

Die Bindung des Kunden besteht nicht zum Unternehmen, sondern zum Verkäufer. Dies zeigt sich immer wieder dann, wenn Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und der Kunde „seinem Verkäufer“ folgt. Andererseits wandern Kunden ab, wenn sie mit dem Verkäufer oder dem Service unzufrieden sind. Und nicht immer nur wegen des Angebotes.

In der Praxis beginnt ethischer Vertrieb genau dann, wenn Führungskräfte die Mitarbeiter nicht mehr als Mittel zum Zweck sehen, sondern als Ziel ihres Handelns. Dann kann (und darf) auch der Verkäufer den Kunden als Mensch sehen und kann entsprechend verantwortungsvoll handeln.

  • Vertrauen wird grundsätzlich gegeben und damit zur Verpflichtung für das Unternehmen und den Verkäufer. Ergänzend wird dies durch ein „gesundes Misstrauen“, welches die negativen Auswirkungen von „blindem Vertrauen“ minimiert. Dies gilt für Innen, wie Außen.
  • Verantwortung übernehmen: Nicht nur für das eigene Handeln, sondern auch in der Übernahme von Verantwortung für Dinge, die andere verschuldet haben.
  • Fairness nach Innen und Außen. Offener Umgang mit Schwächen und Problemen.
  • Transparenz und Offenheit im Team und in der Zusammenarbeit mit anderen Bereichen. Und dem Kunden gegenüber.

Ethisch handelnde Verkäufer stellen sich folgende Fragen:

  • Handele ich grundsätzlich und konsequent im Interesse meines Kunden?
  • Denke und handele ich so, dass ich morgens selbstbewusst in den Spiegel schauen kann?
  • Berate ich meinen Kunden offen, ehrlich und unabhängig davon, ob er am Ende auch bei mir kauft?
  • Überprüfe ich mein Handeln regelmäßig dahingehend, ob ich noch so verkaufe, wie ich es mir vorgenommen habe?

Tue ich alles dafür, um mich persönlich und fachlich so weiter zu entwickeln, dass ich meinem Kunden, der beste Berater/Verkäufer sein kann?

Teilen

Autor

Markus Euler - Der Spielveränderer
Markus Euler ist seit zwei Jahrzehnten im Vertrieb und im Verkauf unterwegs. Als Trainer und Coach unterstützt er Unternehmen dabei, neue Kunden zu ge…

Letzte Beiträge

Desiree Meuthen Die 12 wichtigsten Elemente Verkaufsstarker Webinare

12 wichtige Elemente verkaufsstarker Webinare

Webinare (= Online-Seminare) sind ein sehr gutes Marketinginstrument. Vor allem für die Vermarktung von höherpreisigen Angeboten (z.B. Coaching oder Consulting) eignen sie sich – aus folgenden Gründen: Diese psychologisch-sprachliche Struktur